nicht müde werden sondern dem wunder leise wie einem vogel die hand hinhalten. (hilde domin)

Donnerstag, 24. April 2014

elf

heute wäre ein geburtstag zu feiern gewesen.
selma (klick), unsere zweite tochter, wäre elf jahre alt geworden.

stattdessen hatte ich besuch von eine lieben freundin von (mittel)weit weg, mit der ich einen wunderbaren, fast schon frühsommerlichen tag zumeist draussen verbrachte. ich hab ihr meine lebensorte gezeigt, wir haben erzählt, gefragt, gestaunt, waren im wald und im garten und unterwegs und haben den gemeinsamen tag sehr genossen.
und nur manchmal seufte es leise in mir.

dieses nebeneinander von freude und trauer ist schon ein seltsames. nie hätte ich damals gedacht, daß es einmal so mild werden würde. und doch ist es inzwischen so, warm und nah und sacht.

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oft schon habe ich darüber geschrieben und dann doch nicht veröffentlicht. eine kleine zusammenstellung davon möchte ich jetzt hier einfügen, damit die gedanken nicht im archiv verschwinden.


...heute vor zwei jahren schrieb ich...

neun.
diese zahl beeindruckt mich seit tagen immer wieder. das es schon so lange her ist, daß selma nicht mehr bei uns auf der erde ist. was für eine ungeheuer lange zeit!!!

neun jahre. das ist ein halbes kinderleben, nochmal so lang bis zur volljährigkeit.
mit neun sind sie schon recht selbständig, ziehen allein oder zu mehreren um die häuser, können gefahren einschätzen, dürfen unbeaufsichtigt mit ihren taschenmessern hantieren, plündern die küche und kochen sich was.

doch wenn ich an selma denke, dann springen mich keine bilder an. kein hüpfendes kind, kein schwingendes sommerröckchen, kein kichern mit der freundin.

...

...heute vor drei jahren schrieb ich...

hätte...wäre...könnte...

... hätte ich damals beim abbiegen in italien doch einmal mehr hingeschaut...
... wäre ich nach der rückkehr aus dem urlaub doch direkt zur frauenärztin zum ultraschall gegangen...
... hätte ich nicht darauf vertraut, daß alles seinen guten gang gehen wird...

... wäre alles anderes gekommen.
vielleicht, wer weiß das schon.
selma wäre gesund und munter zur welt gekommen.
vielleicht.

wäre ihr eventuell ein gesünderes leben möglich gewesen, wäre die unterversorgung früher erkannt worden? dann wäre sie aber NOCH früher auf die welt geholt worden. wäre das besser gewesen? hätte sie davon ein besseres leben mit weniger leid gehabt? keine hirnschädigung durch sauerstoffmangel, aber was dann?

sicher sind dies gedanken, die mich eine weile bewegt haben, es immermalwieder für kurze zeit tun.
doch das rückwärtsschauende hadern erzeugt nur schuldgefühle.
ich bereue nichts von dem, was immer ich im zusammenhang mit selma (bzw vor ihrer geburt) getan habe. denn es ändert ja auch nichts.
ich bin wirklich überzeugt davon, daß es eben so sein sollte.
daß selma sich genau dieses leben genau bei uns ausgesucht hatte.
so traurig es ist, so schön ist es, daß sie uns für fähig hielt, dies für sie zu tragen.

vielleicht wäre es anders gekommen.
aber dann wäre alles andere, so wie es jetzt ist, nicht geworden!

darum pfeif' ich auf hätte... wäre.... könnte...!
... und ich hoffe, selma pfeift mit...


...heute vor einem jahr schrieb ich...
 

... vielleicht ist es für mich auch einfach etwas - sehr - anders, weil selma nicht aus dem aufblühenden leben gerissen wurde, sondern aus einem sehr schweren leben erlöst wurde. sie hätte nie laufen gelernt, wäre nie herumgekrabbelt, könnte nie worte sprechen. ich kann mir so etwas nicht ausmalen, es entstehen keine bilder. (nur von megahightechliege-rollstühlen mit integriertem beatmungsgerät etc, mich schauderts, wenn ich solche sehe)

wenn ich mein 'hätte' und 'wäre' nun früher ansetzen würde, käme ich auch nicht weiter.
ich glaube sogar: wenn wir nicht in diesen italienurlaub gefahren wären, dann wäre etwas anderes passiert. alles ist so geschehen wie es sein sollte, so unbegreiflich es auch sein mag.

diese betrachtungsweise hat mir sogar über große untiefen geholfen, denn nur so gesehen bekommt alles einen sinn. nur wenn ich selmas leben so wie es war, als unausweichlich, als selbstgewählt sogar ansehe, gibt das alles einen sinn. und wird nur dadurch erträglich.
(und so wichtig: für mich kamen noch zwei kinder danach - wenn selma gesund gewesen wäre, hätte ich nun mit sicherheit nicht diese beiden weiteren kinder. auch das wäre nicht auszudenken.
...ach so ein elendswurm, dieses gedankengewirr)

3 Kommentare:

  1. Ich gratuliere dir als Mama von Selma und zu deinen Worten. Eine tiefe Dankbarkeit erfüllt mich, dass du sie hier mit uns teilst. Es fühlt sich für mich "richtig" an, was du fühlst.

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  2. Seit Tagen lese ich nun immer wieder deine Worte über Selma. Ich bin sehr betroffen, das Thema ein Kind zu verlieren ist so unfassbar, das ich es ganz schnell zur Seite schieben möchte und anderseits glaube ich auch ganz fest daran, dass die Kinder sich ihre Eltern und ihren Lebensweg selber raussuchen. Du hast deine Gefühle und Gedanken hier so schön geschrieben, vielen Dank, dass du dies mit uns teilst. Gut, dass eine Freundin mit dir den Geburtstag verbracht hat. Alles Liebe Dir!

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